»Das ist es also?«, brummte Rusken O’Zarr.
»Ja!« Schemenaya klopfte dem Karhu’härkataur auf die haarige Schulter. Ihre Stimme klang gedämpft durch die wollene Maskenkapuze. »Und auch nein. Also noch nicht. Aber irgendwann wird es das sein.«
Rusken sah mit seinen schwarz glänzenden Knopfaugen über den Rand der Brillengläser zu ihr hinab. Seine Kiefer malmten auf einer Zigarre herum, die fast so dick war wie Schemenayas Unterarm. »Fantastische Aussichten.«
»Dir fehlt es wie immer an Vision, alter Griesgram.«
Sie wollte ihm in die Flanke knuffen, doch er wich aus und hob die borstenbesetzten Arme. »Das ist meine empfindliche Seite, lass das.« Er pflückte die Zigarre aus dem Mundwinkel und stieß Rauch durch die breiten Nüstern aus, der sich um die geschwungenen Hörner an seinem Schädel kräuselte. »Die Seite, in die alle zuerst schlagen, mit denen du dir Ärger einbrockst.«
»Die Seite, die du allen für den ersten Schlag anbietest, damit du ihre Ärmchen einklemmen und brechen kannst«, verdeutlichte Schemenaya fröhlich.
»Mh-hm«, machte Rusken. »Ändert nichts daran, dass mein Fell an der Stelle schon ziemlich dünn gescheuert ist.«
»Hast ja bald genug Gelegenheit, um dich zu erholen, mein alter Karhu. Wenn wir die Bruchbude da drüben erstmal aufgehübscht haben.«
»Dann sehe ich in dir nach wie vor keine seriöse Geschäftsfrau, Schem, so ehrlich muss man sein.«
»Muss man nicht«, schnappte sie. »Außer man ist so ein Stück steifgebratenes Hackenfleisch wie du!«
Rusken aschte die Zigarre ab. »Jap, dann sowieso.«
»Siehst du nicht das Potenzial in dieser Immobilie?« Schemenaya rahmte das moosüberwucherte, von Witterung und Stürmen aufgeriebene und um die Hälfte seines Dachstuhls gebrachte Kantsteingebäude mit den Händen ein. »Siehst du nicht die Kundenschlange, die von der Tür durch den Vorgarten bis zu den Hügeln dort drüben reicht?«
»Ich sehe die zerbrochenen Überreste einer Tür, die in den Angeln kauern wie ein verprellter Besoffener. Ich sehe einen Vorgarten voller Molbendisteln und stacheliger Ziikbeerenbüsche, wie ein Kronsherrscher sie wuchern ließe, um Gaffer und Lüstlinge von den Fenstern seiner Heranwachsenden fernzuhalten. Und die Hügel dort hinten, na ja, an denen is wohl nichts auszusetzen, das sind gute runde Hügel. Ach so, und was ich von dir höre, ist ungefähr dasselbe, was der Halsabschneider dir eingesemmelt hat, von dem du dir dieses Schmuckkästchen hast aufquatschen lassen.«
»Ich habe nur Schmuckkästchen gehört«, frohlockte Schemenaya und tänzelte feierlich auf ihre Zukunft, auf die Erfüllung ihrer großen Pläne zu. Nun, betreffs der Gegenwart dieses Unterfangens, mit anderen Worten einer gewissen Reparatur- und Renovierbedürftigkeit ihrer rohgeschliffenen Habe … Nun, jeder eingerissene Stein, jeder gebrochene Balken – das war bloß wie harmlose Wunden an Haut und Knochen eines kastrierten Körpers, der heilen und erblühen und der die Kundschaft rannehmen würde, wenn sie ihn bestückten wie die Huren von Uthmensfreud mit ihren Holzpimmeln für besondere Bedürfnisse. Sicher, und was das anging machte sie Rusken gar keine Vorwürfe, ein paar Hiebe würde er sich vorher noch einfangen. Die nötigen Silber- und Goldrand und am besten noch ein bisschen Flavbranntgeprägtes fielen ihnen nicht von allein in den Schoß. Nein, ein paar Taschen wollten schon noch geleert, ein paar Empörkömmlinge eingeschüchtert werden, bis sich das gefürchtetste Diebesduo von Junt bis Irshwin – zur Ruhe setzen konnte. Ruhe natürlich im relativen Sinne, dachte Schemenaya. Sie würde Schems Pfandleihhaus – den schwungvoll geschnitzten und bunt lackierten Schriftzug konnte sie bereits vor sich sehen – nicht mit verschränkten Fingern und hochgelegten Füßen führen. So stellte sich Rusken einen Ruhestand vor. Schemenayas hingegen würde daraus bestehen, den Leuten offen in ihre Gesichter grinsend die Habe abzuknöpfen, statt mit angelegtem Messer in ihrem Rücken zu lauern. Nach all den Jahren verborgen im Schatten und hinter Masken würden sie sie endlich sehen. In ihrer Not freiwillig zu ihr kommen, statt erst von ihr überhaupt in diese Nöte gebracht zu werden. Das fühlte sich für sie so richtig, so wunderbar an, dass sich ein wohliges Gefühl in ihrem Bauch wie ein Zauber eines warmen Lieblingsgerichtes nach einer Ewigkeit des Hungerns ausbreitete. »Sie werden mich sehen. Und sie werden meinen Namen kennen. Ein Traum«, säuselte Schemenaya.
»Nicht grade der, den meine Vorfahren geträumt haben, als sie nach Hierroshai kamen«, erwiderte Rusken und kratzte sich das vorquellende Brustfell. Etwas väterliches trat auf seine klobigen tierischen Züge. »Aber es hätte wohl schlimmer kommen können.«
»Schön das du’s einsiehst«, sagte Schemenaya mit einem zufriedenen Lächeln hinter der Maske. Das auch nicht wich, als sie den Blick an ihrer Zukunft und den großen Plänen vorbei schweifen ließ und die Silhouetten von fünf, sechs, sieben bewaffneten Männern in grün-grau karierten Röcken und abgewetzten Lederharnischen die Hügel empor stapfen sah. Stadtwachen, sieh einer an. Wer hatte sie denn da nur wieder verraten? Das beruhigende Geräusch der Breitklinge, die hinter Ruskens Rücken vor glitt, und das Gefühl der kühlen, anschmiegsamen Griffe ihrer eigenen Stiletts, kräftigte den Glauben an ihre großen Pläne. Acht, neun, zehn Mann? Gar keine Frage, dass sie mit denen auch noch fertig werden würden …
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