Unglücke (Dark Fantasy-Kurzgeschichte)

Collocks‘ schwammige Wangen, zwei Lappen erschlafften Lebens an einem Gesicht, das zwischen Falten und Furchen aus einer bescheidenen Vergangenheit in eine völlig bedeutungslose Zukunft blickte, blähten sich auf. Was hatte das Ende aufgehalten? Was hatte es Besseres zu tun gehabt, als ihn endlich zu holen? Vermutlich so einiges, wie er sich ehrlich eingestehen musste. Die Dinge waren schließlich nie so gelaufen, wie sie ihm lieb und unkompliziert gewesen wären. Alles hatte stets einen Haken gehabt, besonders all jenes, von dem es hieß, es gäbe keinen Haken. Es seien bloß Unglücke, die in den meisten Fällen passierten. Doch daran glaubte Collocks nicht. Ans Glück ebenso wenig. Das waren naive Vorstellungen, die es herabspielten, dass auf der Welt unendlich viel ungerechte Scheiße passierte, für die es absolut kein ausgleichendes Gegengewicht gab.
»Na, Collocks?«, sagte Miira-Vegaa. »Wie läuft’s denn in jüngster Zeit so?«
»Gewohnt unrund«, antworte er und klopfte auf seinen Oberschenkelstumpf. »Das Bein musste ab.«
Sein Gegenüber fuhr sich durch das volle, cremeblonde Haar, mit dem er Collocks spärliche graue Büschel verhöhnte. »Du hast aber auch immer ein Unglück.«
»Nee«, brummte Collocks. »Infektionen, ab und zu.«
»Nichts vom Ersparten für die Altersvorsorge zurückgelegt?«
Collocks verzog die Lippen. Er konnte diese jugendlichen Besserwissereien nicht leiden, die lagen ihm sauer im Mund. »Bübchen. Denkst du einer wie ich rechnet damit, es überhaupt auf ein gewisses Alter zu bringen?«
Mit einem gleichgültigen Lächeln ließ Miira-Vegaa die Schultern im Gelenk kreisen und knacken. »Du warst eben einer von den Guten, irgendwann mal.«
Das entlockte Collocks nun doch ein schrilles Lachen. »Zu welcher Zeit soll das denn bitte gewesen sein? Bist du einer von diesen Taanenabtrünnigen, die glauben, wir wandern von Körper zu Körper und können es mit einem neuen Leben versuchen, wenn das alte nicht so richtig wollte? Ein Schwachsinn!«
»Seh ich nicht anders, da mach dir mal keine Gedanken.« Miira-Vegaa schien nicht mehr lange rummachen zu wollen, und das war Collocks ganz lieb so. Der junge Moor’hedrikaner zog einen Dolch unter seinem flatternden Hemd hervor, das seinen breiten Schultern und den straffen Brustmuskeln wie ein schmeichelnder Vorhang diente, hinter dem sich großes Theater verbarg.
»Knusprig«, kaute Collocks aus, sah die Klinge funkeln und hob die Hand.
Miira-Vegaa hielt inne.
Links fehlte ihm der Daumen – ein Unglück, was sonst? –, doch Collocks hatte sich eine gewisse Griffsicherheit mit den verbliebenen vier Fingern angewöhnt, mit der er ein schmales Brettchen vom Tischchen neben sich zwischen sie manövrierte. »Nimm dir ein Glas. Letzter Schluck und so. Wir wollen schließlich die Traditionen ehren.«
Das Bübchen schien kurz abzuwägen, ob er das wirklich wollte, dann senkte er den Dolch. »Sicher«, sagte er und griff nach einem der Gläser. »Hast du dir verdient, schätze ich, und auf einen Moment mehr oder weniger kommt es wohl nicht an.«
»Schätze ich nicht und finde ich schon«, knurrte Collocks und nahm sich das verbliebene Glas, »aber ich bin nunmal ein verdammter Romantiker, wenn es um diese Dinge geht. Zum Wohl.«
Beide Männer spülten die Flüssigkeit in einem einzigen Schluck die Kehle hinab. Vom klassischen Aschgebrannten hatte Collocks nichts mehr dagehabt, doch hutanvayunkarischer Grintnesselsud mit Fenchel und einem Hauch Dooltbeere versetzt tat es auch, wie er keuchend feststellte. »Junge, Junge, gutes Zeug.«
»Nicht schlecht«, stimmte Miira-Vegaa heiser zu und traf kaum das Brettchen, als er das Glas zurückstellte. »So, nun zum …«, er hob die Klinge, »… nun zum … nun aber zum … was zum … verdammt …« Scheppernd fiel der Dolch zu Boden. Miira-Vegaa pumpte wie eine gestrandete Leerlunge, seine Augen quollen aus dem Schädel und überhaupt ging der ganze Kerl auf wie ein Teig im Ofen. Er sackte auf die Knie. Schlang die Arme um den Bauch, dann packte er sich an den Hals, wie um einen zu engen Kragen zu lockern, kratzte und riss an seiner Kehle.
»Was ist denn jetzt verdammt nochmal mit dir los?«, maulte Collocks, nicht eben milde, eher unangenehm überrascht von dem, was sich da vor ihm abspielte.
Miira-Vegaa starrte auf die Gläser. »Doolt- … Dooltbeere?«, entwich es ihm. Darauf folgte ein erstickendes Röcheln und nachdem er einige Augenblicke vor sich hin gekrampft hatte, sackte der kräftige Leib aufgedunsenen Fleisches zur Seite. Tot.
Collocks stieß ein »Hmmmpff« aus. Das war sie doch wieder, genau die Art von Scheiße, für die einem das Leben keinen Ausgleich spendierte. Statt endlich das eigene Ende zu finden die nächste Leiche zu entsorgen. Jetzt musste er aufstehen, dabei hatte er nur sitzenbleiben gewollt. Das war sie, die Krönung des Ungerechten, der Haken aller Haken. Wer bitte nannte sowas denn noch ein Unglück?

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