Kämpfen, nichts als kämpfen, was anderes konnte Gurgelguile Hammerskant nicht, was anderes tat er seit Stunden oder Tagen, vielleicht sogar seit Wochen nicht mehr. Wer mochte noch unterscheiden, sobald der Blutrausch von einem Besitz ergriffen hatte, wann etwas derart Nichtiges vor sich ging wie der Wechsel vom einen Tag zum nächsten? Er ließ die Schultern im Gelenk kreisen und spaltete mit seiner zuverlässigen Axt den nächsten Schädel in zwei spritzende wabernde Hälften. Früher, da hatte er Suppe für die Armen ausgeschenkt, und das blubbernde rote Gemisch aus halb verdorbenen Tomaten und bittersüßen Zitrangionen war ihm auf Schürze, Arme und ins Gesicht gespritzt. Ganz ähnlich, wie jetzt das siedende Blut seiner Gegner.
Wer die waren? Hatte man ihnen nicht gesagt. Der Haufen, dem Gurgelguile angehörte, stand in der Rangordnung irgendwo zwischen den trinkfesten Söldnern der Moghdabhi-Kompanie und den achtbeinigen Arschkneifern, die sich nachts durch ihre zerflederten Laken fraßen. Eine Befehlskette gab es in diesem Abschnitt der Armee von Tesh‘kadnia nicht mehr, nicht mal einen Befehlshaarreif oder einen verdammten Befehlsschuldschein. Gurgelguile grinste über seine Gedanken. Man musste diese ganze Sache mit Humor betrachten. Es gab keinen Grund das alles zu genau zu nehmen, wenn es am Ende nur darum ging, möglichst viele zu töten und dabei selbst so unversehrt zu bleiben, wie es eben ging. Was das betraf, unterschieden sich Kämpfe und das Leben in einer Großfamilie nicht sehr voneinander.
Gurgelguile war mit vierzehn Brüdern und zwei Schwestern auf den Hochplateaus von Gyrbakgrul aufgewachsen, das lehrte einen, sich durchzusetzen, sich wegzuducken, ans Messer zu liefern, mal zuzuschlagen, falls es gar nicht anders ging – und anders ging es meist nicht, wenn alle anderen dasselbe lernten.
Beinahe gelangweilt setzte er zu seinem nächsten Axthieb an. »Kelle rein«, grummelte er, als das Blatt tief in den Bauch seines jaulenden Gegners eindrang. »Und Kelle raus.« Blut und abgetrenntes Gedärm quoll hervor. »Ich gerate ja kaum ins Schwitzen. Habt ihr nicht mehr zu bieten?«
»Jetzt halt mal dein Maul!«, schallte es von der Feindesseite zurück. »Wir versuchen auch bloß hier irgendwie durchzukommen.«
»Dann strengt euch mehr an, ihr taanverfluchten Einzelkinder.«
»Hä? Was hat das denn damit zu tun?«
»Ach, lange Geschichte«, raunte Gurgelguile, mähte die nächste Schar anstürmender Kontrahenten schweigend nieder und bedeckte den zertrampelten Boden mit weiteren Leichen.
Warum er das tat? Hatte man ihnen nicht gesagt. Musste mal wieder jemand einen Streit vom Zaun gebrochen haben, für den sich mal wieder keine bessere Lösung fand, als eine Schar Unbeteiligter gegeneinander aufzuhetzen, bis eine der beiden Parteien weniger Beine aufrechtstehend an die Erde brachte als die andere. Dann stießen die Urheber des Streits auf ein »Nichts für ungut« an und die Sache war ausgeräumt. Wie das immer so war. Was das betraf, unterschieden sich Kämpfe und das Leben in einer Großfamilie nicht sehr voneinander.
Gurgelguile war das fünfzehnte von sechszehn Kindern gewesen, alle guten und klangvollen Namen zu diesem Zeitpunkt längst vergeben, und so hatte er allein deswegen mehr Hiebe von den übrigen Hammerskant-Geschwistern kassiert, weil man in Gyrbakgrul einem Gurgelguile eben eher eine langte als einem Yyuupakk oder einem Hysenfried. Viel mehr, und selbst das noch kaum, war vom Stolz der Schlächter der Hochplateaus auch nicht übrig. Sonst wäre er ja jetzt nicht hier, in diesem unbedeutenden Zwist zwischen zankenden Bauern, zerstrittenen Familienoberhäuptern oder wusste der Geier was. Taanendreck. Was war aus ihnen geworden, den Eroberern der Sichel, einst mit Giffeyasuhls Macht im Bunde und unbesiegbar von West nach Ost marschierend? Voller Bedauern zertrümmerte er den nächsten Schädel.
Später am Tag, kurz nachdem mehrere krächzende Stimmen »Kapitulation!« gebrüllt hatten, stapelte sich Gurgelguile einen Haufen Toter zurecht und machte es sich darauf bequem. Grade hatte er eine Position gefunden, die seinem piksenden Rücken und dem puckernden Stechen in der Kniekehle entgegenkam, näherte sich ein Hauptmann, Offizier oder wie immer man die nannte, die einem eine flüchtige Erholungspause nicht gönnten.
»Hoch mit dir, Gyrbakgruler«, sagte der Mann und die Abzeichen an seiner Brust klimperten. »Für dich geht’s in die nächste Schlacht. Unten an der Grenze zu Kremmerin ist was los.«
Was da los war? Davon sagte er nichts. Sagte man ihnen nie. Irgendeinen Grund, sich nicht einfach zu vertragen, gab es schließlich immer. Was das betraf, unterschieden sich Kämpfe und das Leben in einer Großfamilie nicht sehr voneinander.
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