Kampfgeräusche drangen aus der klapprigen Kaschemme und Ban‘barian verzog seine steinerne Miene, als hätte ein wenig trittsicherer Wanderer Geröll in Bewegung gebracht. Selten ging diese Art von Abend ohne Zank und Schlägereien aus. Ein windschiefes Schild über den Toren dessen, was sicher einst als einfacher Reittierschuppen gedient hatte, wies den Laden als Vincenzies hübsches Stübchen aus und mindestens zwei dieser drei Worte stellten nach Ban’barians Ansicht eine maßlose Falschbehauptung dar. Und das dritte? Nun, Vincenzie, das war einer dieser typischen wohlklingenden jakatesischen Namen, mit deren Nennung allein sich schlichten Gemütern die Kleidung vom Körper schälen ließ, und damit wirkte auch er hier fehl am Platz.
Ban’barian kratzte sich unterm Kinn. Es drohte bereits wieder stoppelig zu werden, nachdem er es erst vor Stunden glattrasiert hatte. Rasch und üppig sprießende Gesichtsbehaarung lag bei ihm in der Familie. Unglücklicherweise gefiel ihm das gar nicht und kam auch seiner Tätigkeit nicht zugute, sobald zu viel Bart seine Züge verbarg. Das verschaffte anderen Raum für Interpretation, wie er die Dinge meinte, die er ihnen nahelegte. Sein Vater, der hatte vor lauter wolligen Teppichbüschen rund um Mund, Augen und Wangen immer dazu sagen müssen, ob er seine Schimpftiraden im Spaß oder Ernst meinte, und so verpufften sie in beiden Fällen wie eine Schaumblase.
Bot man den Leuten solche Spielräume begannen sie, sich darin auszutoben, gleich einer Schar aufgestachelter Kleinkinder oder untervögelter Seefahrer auf Landgang in einem Freudenhaus. Nein, Ban’barian legte Wert auf Unmissverständlichkeit. Das ließ jene übrig, die ihn nicht verstehen wollten, so wie diesen Vincenzie hier in seinem hübschen Stübchen. Der hatte seine Männer, und Ban’barian wiederum die seinen, und nun nahmen diese Gesellen lautstark sehr nachhaltige Veränderungen an der Inneneinrichtung des Stübchens vor.
»Lag es diesmal an mir?«, überlegte Ban’barian, doch er konnte es drehen und denken wie er wollte, seine Ausdrucksweisen waren schlicht und klar und unmissverständlich gewesen; Vincenzies Unterschrift auf den Verträgen konnte man nicht wegleugnen. Keine Spielräume. Und nun hatte der Mann eben zu zahlen, wie es mit dem Haus Mierbenstrauss vereinbart war. Weigerung führte zu Konsequenzen, das war eine ganz einfache Schlussfolgerung.
Eines der beiden Scheunentore des angeblichen Stübchens wurde aufgeschoben, Ban’barian erhaschte einen Blick auf Flammen, zertrümmerte Tische und zu Boden gegangene Körper im Inneren, als Kjalbat heraustrat, den Türspalt hinter sich schloss und zu ihm herüber getaumelt kam.
»Schlechte Nachrichten, Herr Statuswart«, schnaufte der bullige Schläger. »Das Ganze ist ein bisschen ausgeartet. Vincenzie ist tot.«
»Tot?« Das überraschte Ban’barian dann doch. Es geschah nicht oft, dass sich die Verschuldeten, Zahlungsrückständigen, Drückeberger und Zechpreller dermaßen engagiert mit ins Geschehen stürzten, dass sie dabei zu Schaden kamen. Geschweige denn starben. »Das muss man ja beinahe bewundern«, murmelte er.
»Wie Sie meinen.« Kjalbat hob die Schultern. »Er ist im Tumult gestürzt, hat sich den Schädel aufgeschlagen, geplatzt wie ‘ne Melone sag ich Ihnen. Für mich sah das nicht besonders bewundernswert aus. Und nun?«
»Wie viele seiner Männer sind denn unverändert bereit, die Fäuste für ihn zu heben?«, fragte Ban’barian und überschlug die Kosten für das Abweisen von sechs bis zehn Zivilklagen.
»Puh, alle«, schnaufte Kjalbat. »Ein Dutzend Mann, bisher drei am Boden. Das scheint mir ein verschworener Haufen zu sein.«
Ban’barian sah ihn an, eindringlich und absolut unmissverständlich. Was er jetzt überhaupt nicht gebrauchen konnte, waren Spielräume. »Hol die Schwerter vom Wagen. Tödliche Gewalt ist von nun an ausdrücklich gestattet. Bringt sie alle um. Ausschließlich Stichwunden, nichts aufschlitzen, nichts abtrennen, keine Ankermale entfernen.« Er überlegte kurz. »Korrektur, ein Ankermal entfernen und in die Hand eines anderen legen. Dann holt alles, was ihr an Gold- und Silberrand findet könnt, aus dem Schuppen raus und brennt ihn anschließend nieder.«
»Aber …«
»Nein nein nein nein, nur zuhören. Das Haus Mierbenstrauss besteuert sein Geschäft nicht nur, wir haben es auch versichern lassen. Im Schadensfall geht die Auszahlung zuerst an uns. Und da wir es mit einem tragischen Unfall zu tun haben, bei dem leider auch Vincenzie selbst sein Leben ließ, nehmen wir als Haus Mierbenstrauss die Summe treuhänderisch entgegen und entschädigen die Hinterblieben der Opfer in angemessener Höhe. Wird so gemacht?«
»Ay, wird so gemacht.« Kjalbat setzte sich in Bewegung, umrundete den Planwagen, mit dem sie hergezockelt waren, fand auf seinem Weg noch einige beruhigende Gesten für die Pferde und stampfte schließlich mit einem Stapel Schwerter in den Armen zurück in das Stübchen.
Nicht lange danach wurden aus dem schwer zuzuordnenden Gerumpel erst Gnadengesuche, übergehend in Angst- und letztlich Todesschreie.
Als seine Männer nach und nach und nahezu unverletzt aus dem Schuppen drängten, gut beladen mit Truhen und Münzsäcken, während Flammen aus dem Dach emporzuzüngeln begannen, gönnte sich Ban’barian ein Lächeln. So gefiel es ihm. Eindeutiger Handlungsauftrag, lückenlose Ausführung, der Papierkram lediglich eine Frage von geschickten Formulierungen und einigen bedeutungsvollen Stempeln. Kein Platz für Spielräume.
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