Ziemlich (Dark Fantasy-Kurzgeschichte)

»Kennst du diese winzigen Wunden, die irgendwie immer viel mehr wehtun als die großen? Also, wenn man das zugrunde legt, und dann berücksichtig, dass ich jetzt grade überhaupt nichts mehr fühle, muss es wohl verdammt schlimm sein. O-oooder?«
»Hm«, machte Klempfling. »Ich muss mal ne zweite Meinung einholen.« Er winkte Drangis heran, der sich in medizinischen Fragen immer als ziemlich verlässliche Quelle erwiesen hatte. »Er fühlt da nichts mehr«, sagte er, nachdem der Aufgeforderte mit mürrischem Gesichtsausdruck zu ihnen getreten war. »Ist ziemlich schlimm, würde ich sagen.«
Drangis schob sich die Faust unters Kinn. »Was soll das heißen, würdest du sagen? Das is doch wohl ne einigermaßen allgemeine Gewissheit. So wie ich das sehe, und dafür muss man ja nichtmal besonders gründlich hingucken, sind an dem Jungen keine Beine mehr dran.«
»Hm. Inzwischen macht er auch schon ’n ziemlich toten Eindruck.«
»Is nicht wirklich ein Wunder«, stellte Drangis seine medizinische Expertise unter Beweis. »Stecken ja auch so drei, vier … vierzehn, fünfzehn Pfeile in seiner Brust, was?«
»Ziemlich viele insgesamt«, musste Klempfling zugeben und es kam ihm ziemlich verschwenderisch vor. Einem zivilisierten Feind hätte es doch wohl genügt, es bei den abgeschlagenen Beinen zu belassen. Oder seinetwegen bei den vierzehn, fünfzehn Pfeilen. Aber sie kämpften am Ende des Tages wohl in einem ziemlich unzivilisierten Krieg, in dem die Art des Tötens als Zeichen verstanden wurde. »Hör mal, tut mir leid, dass ich dich dazugeholt habe und deine Zeit verplempere, ich dachte wohl, der Junge hält zumindest noch durch, bis er eine Diagnose hat oder sowas.«
»Hat er ja jetzt.« Drangis ließ den Blick über das Schlachtfeld schweifen. »Und mach dir mal keinen Kopf. Hab nicht den Eindruck, als könnte ich hier irgendwo besonders viel mehr aushelfen, als mit eher düsteren Diagnosen. Von Prognosen ganz zu schweigen.«
»Hm. Ziemliche Scheiße, was?«
Drangis zuckte mit den Schultern und rieb mit seinen blutverschmierten Händen über seine blutverschmierten Unterarme. »Manch einer würde vielleicht meinen, ne Schlacht voller harmloser Diagnosen und günstiger Prognosen wäre überhaupt keine vernünftige Schlacht. So gesehen ist das alles recht vorschriftsmäßig gelaufen, würde ich sagen.«
Mit einem unterdrückten Ächzen stemmte Klempfling sich von den Knien auf die Beine. Die taten ihm zwar weh, aber immerhin waren so noch dort, wo sie hingehören. Das konnte er wohl als einen ziemlichen Erfolg verbuchen, obwohl seine tränenden Augen und die laufende Nase inmitten von Rauchschleiern und Totengestänken ihm einen anderen Eindruck aufzwängten. Außerdem war sein linkes Ohr so ziemlich taub von einem Knall, den es im Laufe der Schlacht gegeben hatte. »Könnte sein, dass wir mal den Rückzug antreten sollten, was? Wir scheinen hier ziemlich am Arsch zu sein.«
»Was hast du die ganze Zeit mit diesem Wort?«, wollte Drangis wissen. »Ziemlich?«
Müde presste Klempfling die Hände in die Hüften. »Hm. Weiß auch nicht. Schätze, das macht es alles ein bisschen weniger … endgültig. Verstehste? Wenn etwas irgendwie nur so ziemlich irgendwie ist … bleibt ja immer noch was übrig, wie es nicht ist.«
Inmitten von Schreien und dem Getöse aufeinander einschlagender Metalle dachte Drangis einen Moment darüber nach. »Joa«, sagte er dann und spendierte Klempfling ein aufmunterndes Lächeln, bei dem sich allerdings nur ein Mundwinkel wirklich hob. »Verstehe ich ziemlich gut.«
Und weil niemand sich daran machte, einen Rückzug auszurufen, eine sichere Deckung zu befehlen oder die Truppe wenigstens in eine Form organisierter Verteidigung zu manövrieren, nahmen die beiden ihre Schwerter auf und kämpften einen Kampf weiter, der längst ziemlich verloren war …

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