Lagerfeuergeschichten (Dark Fantasy-Kurzgeschichte)

Vieles ließ sich über Khonat Banthu sagen. Viele Menschen und Nichtmenschen und Wesen, von denen sich weder das eine noch das andere behaupten ließ, hatten vieles über ihn gesagt. »Eine Sache allerdings«, merkte er an, hob und wedelte mit dem Zeigefinger, »und die mag in ihrer Natur sehr speziell sein …« Er sah den Männern, die um das Feuer saßen, reihum in die vom orangegoldenen Schein und Schatten der Flammen umflackerten Gesichter. »Eine Sache. Die sagt mir keiner nach. Könnt ihr euch denken, welche das ist?«
Das Knistern des Brutzelfettes, der Holzscheite und Astknochen schien sich zu verstärken, als die Gruppe ins Grübeln geriet. »Das du … deine eigene Schwester geheiratet hast? Und das gleich drei Mal?«, schlug Lontuk vor.
Khonat Banthu winkte ab. »Das würde ich wieder und wieder tun, nur wirft meine Mutter ihre Töchter zahlenmäßig nicht wie die Sau ihre Ferkel. Und selbst wenn du das damit sagen wolltest, würde es mich nicht jucken.«
Lontuk blies die Backen auf und nickte eifrig, unschlüssig, ob es ihn erleichtern oder beunruhigen sollte, die falsche Antwort gegeben zu haben.
»Nächster«, forderte Khonat Banthu.
Nachdem sein Arm kurz angedeutet hatte, sich wie in einem Klassenzimmer melden zu wollen, ignorierte Kinnlak die unangebrachten Sitten und schnatterte: »Is’s, dass du dir den Arsch im Stehen abwischst? Vornerum?« Er ahmte die entsprechende Bewegung nach.
Verunsichertes Gemurmel und nervöses Kichern machten sich in der Runde breit.
Doch Khonat Banthu blieb ernst. Seine Augenbrauen zogen sich über einem scharfen Blick zusammen. »Darauf bin ich stolz«, schnalzte er. »Körperhygiene, ihr wildgeborenen Drecksäcke. Nicht auszuhalten, wenn nachts das große Kimmenkratzen losgeht, glaubt nicht, ich höre das nicht. Ich höre alles.« Sein Kopf huchte hin und her, als gäbe es grade jetzt ungewöhnlich viele ungewöhnlich beunruhigende Laute zu vernehmen. »Nächster.«
Eine Weile herrschte betretendes Schweigen und selbst das Feuer schien bemüht, sich wegzuducken. »Puh«, entwich es dann Jikkatak, dem Jüngsten von ihnen, der aber oft dachte und redete, als wäre er der Älteste. »Also da sich die Situation ja soeben erst abgespielt hat, das Resultat uns die Bäuche stopft und die Überreste vor uns dahin schmurgeln, muss ich wohl vermuten, dass es dir nicht in den Kragen passt, wenn einer deine Begegnung mit seiner heiligen Hohentaanin Giffeyasuhl als Lagerfeuergeschichte bezeichnet.«
Erleuchtete »Ohhhhh«s und vereinzelte Rülpser wanderten durch den Halbkreis, und das kam Khonat Banthu angemessen vor. Er hielt die linke Faust über das Feuer, spürte die Hitze; sie versuchte ihm an seinen Fingern zu züngeln wie Gnadengewinsel. Und weil man vieles über Khonat Banthu sagen konnte, unter anderem das er huldvollem Flehen nachgab, öffnete er die Hand und übergab die blutigen, teils ausgerissenen, teils ausgeschlagenen Zähne und damit den letzten Rest des aufmüpfigen Niedertaans den Flammen. »Dachte erst, er wollte mich preisen, als er was von Blas-…Blasphemis-…Blasphematikerei gefaselt hat, aber dann kam ich drauf, dass ich ja noch gar nicht erwähnt hatte, was die Hohentaanin alles mit meinem Schwanz angestellt hat.«
Die Männer johlten in die Nacht. »Gib’s mir auch, Giffeyasuhl«, rief Munkamuk den Himmel an, wo die Zwillingsmonde mit gesenkten Lidern hingen, als würde Karbashylinth das Begehren der Schöpfung seiner Herrin mit Argwohn betrachten.
»Tja«, mahnte Khonat Banthu seine Gruppe ebenso an wie den Lichtverleiher. »Da wir unseren gesalbten Niedertaan am Morgen ausscheißen werden bin dann wohl ich der neue Anführer dieser Pilgerreise. Wisst ihr, wer mir das prophezeit hat?«
Erneut schien er die Männer mit vagen Fragen einigermaßen zu überfordern. »Deine Schwestergattin?«, wagte Lontuk einen Versuch.
»Weiß nicht, was du mit dem Thema hast«, sagte Khonat Banthu, und während Lontuk sichtlich betrübt etwas von »Einzelkind« murmelte, breitete ihr neuer Anführer die Arme aus. »Giffeyasuhl höchstselbst hat mich angewiesen, diesen verunglückten Haufen anzutreiben ähhhhh gleichberechtigt anzuführen, aber nicht mehr, indem wir rumtöffeln und ihre Lehren schnabulieren, sondern indem wir plündern und rauben und jeden Abend mindestens einen Wanst ins Feuer schmeißen und fressen bis uns die Wampen platzen. Wie gefällt euch das?«
Dieses Mal wussten die Männer, wie sie zu antworten hatten. Sie quiekten und jauchzten und strampelten vor Vergnügen, unterdessen Khonat Banthu sich abwandte und sie mit einem kühlen Lächeln ihrer idiotischen Freude überließ. Der Niedertaan lag ihm schwer im Magen, aber diesen Triumpf gönnte er dem taanenfürchtigen Knilch, immerhin verdankte Khonat Banthu ihm etwas. Sicher nicht das, was der Prediger im Sinne gehabt hatte, als er sie aus der Haft Zwischen Baum und Borke rausbaldowert und von Rehabibi-… Rehabilitrifizierung geschwärmt hatte. Nee. Khonat Banthu hatte etwas viel Wichtigeres begriffen, und das zu seinem Glück vor allen anderen: Man konnte den Leuten im Namen des Glaubens eine ganze Menge Blödsinn erzählen. Man musste nur überzeugt genug tun, schon wurde aus einer Lagerfeuergeschichte ein religiotisch-… ein reli-… ein religiösitistischer Aufstand, der Niedertaan, der seine Geschichten wirklich glaubte, brannte – und er, Khonat Banthu, stand plötzlich mit einer Schar Untertanen da und von Rehabilimantatierung faselte niemand mehr. Fast wäre ihm nach einem Dankesgebet an Giffeyasuhl gewesen. Doch dann fiel Khonat Banthu ein, dass er an diesen ganzen Lagerfeuergeschichtenquatsch überhaupt nicht glaubte.

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„Hero, U Shy?“, den Kurzgeschichten-Podcast findet ihr auf:

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