Warum sie einen verstümmelten, von kargem Land umgebenen Ginstemoniusbusch den Garten des Lebens nannten, hatte Zentinay nie verstanden. Sogar wenn das beißend stinkende Kraut in voller Blüte stand, war es nicht mehr als ein immer wieder um sich selbst geschlungener Zwirbel aus grauem Geäst und eitrig-gelben Knospen. Wie das gerüstene Abbild einer Krankheit, die sich auffraß und in ihrer Boshaftigkeit um das eigene Leben betrog.
Zentinay drängte die Tränen zurück und ersetzte sie durch Zorn, der dem Voranrasen der Zeit gleich aus seinen Augen spross. Und doch so gefangen war wie sein Körper in einem Käfig aus Holz, seine Hände und Füße in Ketten – und sein Geist im Stillstand der Riten. »Eure Monumente werden brennen und fallen«, sagte er. »Und dann werden eure Symbole vergessen sein. Ich habe es gesehen. Die Sichel, ganz Hierroshai wird frei von euch sein.«
Der Speerknecht hob an, sein tödliches Werkzeug einzusetzen, doch der milde lächelnde Niedertaan beschwichtigte ihn und auch die umstehende Meute mit einer gleitenden Bewegung seiner Finger, die unter der weiten, opulenten Ordenstracht hervorkamen, als gehörten sie an Kleinkindshände. »Weißt du«, erwiderte er mit unangetasteter Stimme, »es mag sein, dass eines Tages Unwerte wie du die alten Lehren überdauert haben. Doch selbst wenn du heute nicht sterben und sich Giffeyasuhl deiner erbarmen und dir ein langes Leben schenken würde: Du kannst niemals Zeuge dieses Tages werden. Der gleichzeitig jener sein wird, an dem die Große Herrin sich von dieser Welt und ihrer Schöpfung abwendet. Auf das die Herrschaft der Unwerten von geringster Dauer sein möge.«
»Nein.« Zentinay sah zu ihm auf, in sein knubbeliges, zufrieden schelmendes Gesicht. »Ihr und Euresgleichen werdet diejenigen sein, die vor die Hohentaanin treten und sich verantworten müssen, denn all das hier hat Sie nie gewollt.«
Begleitet von einem zürnenden Grollen des Speerknechts lachte der Niedertaan auf, ein spitzer, greller Ton, der die Menge animierte, in seinen tückischen Frohsinn einzustimmen. Daraus wurde ein Johlen und Krakelen, untergemischte Beleidigungen und Schmährufe gegen Zentinay verwoben sich zu einem lauthalsen Sturm der Ablehnung und des Hasses.
Der Niedertaan hockte sich an Zentinays Seite, durch die Stäbe des Käfigs beinahe zum Greifen nah. Er sprach leise, so dass die Worte im Toben der Menge nur zwischen ihnen beiden tanzten, ehe sie sich auflösten wie nie gesprochen.
In ihm sträubte sich jedes Gedärm und jeder Gedanke, doch Zentinay erwiderte das Nicken des Niedertaans, bevor dieser vier der Speerknechte anwies, ihre Stäbe in die Ösen des Käfigs zu führen, ihn anzuheben und auf den trockenen Ginstemoniusbusch zu betten. Das Knacken brechenden Geästs sein letzter Schuldspruch, indes Zentinay den Kopf hob, die Hand auf das Ankermal in seiner linken Schulter legte, und den Blick in einen Himmel richtete, den er nicht sehen konnte, und von dem sie behaupteten, dass er ihn nie gewollt hätte.
Dann entzündeten sie den Garten des Lebens, und während die Flammen begannen, das Holz und schließlich ihn zu verspeisen, hallten die Worte des Niedertaans in Zentinays Ohren. »Du weißt es, und ich weiß es ebenso. Der Wille der Taanin zügelt die Massen. Nur sind wir es, die fesseln und peitschen müssen, wo sie nicht mit Giffeyasuhls Freiheiten umzugehen verstehen. Ich persönlich hätte dir und deinem Manne alles Gute gewünscht. Nun wirst du brennen auf dem Kraute, das aus seiner Asche gewachsen ist. Stirb in der Hoffnung auf eine Welt, die irgendwann bereit für euch sein wird.«
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