Heimsuchung (Dark Fantasy-Kurzgeschichte)

»Nimm es Goin, nimm es schon.«
Lilandra war auf die Knie gesackt. Hielt das Bündel von sich, soweit es ihre Ärmchen zuließen. Warum fiel ihm gerade in diesem Moment auf, wie klein sie noch war? Dennoch war Goin beinahe erleichtert, dass die Ungewissheit nun endlich sie einholte. Er wollte nicht mehr geduldig sein müssen. Nicht mehr unzählige Male im Geiste ertragen, was unweigerlich über sie kommen würde. Auf eine Weise, die seinen Magen wie tausende Nadeln durchstieß, wollte er, dass es passierte.
Verarmt und verschluldet, voller Angst hatten sie Jhakatesh, hatten sie die Sichel verlassen, und voller Hoffnung waren sie auf der Blüte eingetroffen, nachdem sich ihnen auf der Überfahrt ein Mann namens Algernon vorgestellt hatte. Er sei der Führer einer Dorfgemeinschaft Verstoßener und Ungewollter, und er hieß sie Willkommen.
Goin hatte gleich gefunden, dass der lilane Hut zu viel seines Gesichtes verbarg. Sein Lachen zu sehr nach einem Kreischen klang. Algernon war nicht Führer der Gemeinschaft. Er war ihre Heimsuchung. Immer dann, wenn Karbashyalinths Monde fahl und träge glommen, kam er … Immer dann hörten sie Mütter weinen und Väter wimmern und niemanden, der sich wehrte. Denn sie fürchteten den Ira’ghan … und noch mehr seine Kreatur.
Ein Zierpen, und ein grausiges Knacksen von Knochen und Knorpeln, die sich im Gelenk bewegten, quollen aus der Dunkelheit.
Goin nahm das Bündel und Lilandra sah auf. Tränen glänzten auf ihrer Wange. Dann flog ihr Kopf zur Seite. Ihr Körper sackte in eine andere Richtung. Und das Zhorrkronit schälte sich aus den Schatten. Zehn astartige, mit Widerborsten besetzte Beine, von denen keines zu wissen schien, wohin das andere stakste, ein vielgliedriger, um sich gewundener Körper voller pulsierender Atemsäcke – und aufgepflanzt ein ewiggrinsender Menschenkopf, kahl, mit blassen Augen.
Goin verlor den Verstand, als er deren Blick erwiderte. Er nahm das Vorschnellen und Zuschlagen des Zhorrkroniten kaum wahr. Spürte nicht, wie seine Brust und sein Kopf aufschlugen, während Unterleib und Beine noch dastanden. Das Letzte, was er vernahm, war das Jauchzen seines Geschwisterchens, als lilane Handschuhe das Bündel an sich nahmen und ein Kreischen ertönte.

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„Hero, U Shy?“, den Kurzgeschichten-Podcast findet ihr auf:

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